Musik

Projekt Musikalischer Nachlass Claudio Abbado

Zum 15. März 2020 startete das Projekt Musikalischer Nachlass Claudio Abbado. Ziel des Projektes ist die Erschließung und Katalogisierung des Gesamtbestands sowie die digitale Verfügbarmachung des rechtefreien Materials, das sich nun in der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz befindet.

Der Nachlass wurde der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von der Fondazione Claudio Abbado in Mailand als Schenkung überreicht. Er besteht aus ca. 2.000 Notenbänden mit 300 zugehörigen Notiz- und Dirigierzetteln, über 600 Bänden aus Abbados Privatbibliothek, darunter mehr als 400 musikwissenschaftliche Fachbücher, über 2.500 Tonträgern sowie rund 9.000 Briefen größtenteils beruflicher Korrespondenz.

Mehr Informationen zum Nachlass einschließlich vorläufiger Inventarlisten

Im ersten Projektteil wurde die Notenbibliothek Claudio Abbados samt Dirigierzetteln im StaBiKat/Zentralen Bibliothekssystem (CBS/K10+) des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV) ausführlich katalogisiert und - soweit rechtefrei - anschließend digitalisiert. Somit ist die Notenbibliothek gänzlich über den Bibliothekskatalog (StaBiKat) nachgewiesen und der urheberrechtsfreie Anteil kostenfrei über die Digitalisierten Sammlungen der SBB zugänglich gemacht worden.

Die Notenbibliothek Claudio Abbados umfasst klein- und großformatige Partituren aus den Jahren 1889 bis 2010, die der Dirigent sowohl zu Studien- wie auch zu Aufführungszwecken verwendet hat. So finden sich in zahlreichen Bänden verschiedene handschriftliche Eintragungen, die über die aufführungspraktischen, musikanalytischen und musikästhetischen Vorstellungen Abbados sowie seiner Auffassungen zur Dynamik, zur Klangbalance und zum Tempo unterrichten. Auch Daten und Orte der Aufführungen finden sich oftmals auf den jeweiligen Titelseiten.

Hinzu kommen 300 handverfasste Notiz- und Dirigierzettel, die die musikalischen Werke zusammenfassen und Auskunft über die Werkauslegungen, Klangvorstellungen und Interpretationsansätze des Künstlers geben. Diese Notiz-/Dirigierzettel befanden sich früher in den entsprechenden Partituren, wurden jedoch aus Konservierungsgründen und zur fachgerechten Aufbewahrung separiert.

Die Partituren und die Notiz-/Dirigierzettel Claudio Abbados stellen einen wichtigen Beitrag für die Erforschung der Musikgeschichte und Interpretation des 20./21. Jahrhunderts dar. Sie sind einzigartige Dokumente mit detaillierten Angaben über die musikästhetischen Auffassungen Abbados und zeichnen den Arbeitsprozess von der Einrichtung der Dirigierpartitur bis zur Aufführung nach. Dadurch gewähren sie einen Einblick in die Werkstatt des weltberühmten und charismatischen Opern- und Konzertdirigenten, der einen ganz besonderen Platz in der Musikgeschichte seiner Zeit einnimmt und immer noch von Musikerinnen und Musikern - u. a. angehende Dirigentinnen und Dirigenten-, Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern und -kritikerinnen und -kritikern sowie von Musikinteressierten und Laien bewundert wird.

Die Katalogisierung der gesamten Notenbibliothek samt Notiz-/Dirigierzetteln wurde mit Mitteln der Beauftragten für Kultur und Medien finanziert, die Digitalisierung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung.

Zusätzlich dazu wurden mit eigenen Mitteln der Staatsbibliothek zu Berlin zunächst 400 musikwissenschaftliche Fachbücher, später weitere 200 komplementäre Bände aus der privaten Bibliothek Abbados im StaBiKat/CBS katalogisiert. Diese Bücher geben Einblick in Abbados Auseinandersetzung mit musikhistorischen, -ästhetischen und -praktischen sowie politischen und sozialen Themen wie auch mit Werken der Literatur, der Kunst, der Philosophie und der Geschichte, und vervollständigen das Bild der Person und Künstler Claudio Abbado auf eine reizvolle und aufschlussreiche Weise. Ebenso mit eigenen Mitteln erfolgt derzeit eine umfassende Katalogisierung der 2.500 Tonträger im StaBiKat/CBS, einschließlich der gesamten dort enthaltenen Werke oder Werkteile.

Im letzten Projektteil soll die berufliche Korrespondenz (rund 9.000 Dokumente), die der Staatsbibliothek zu Berlin überreicht wurde, im Kalliope Verbundkatalog komplett erschlossen werden.

Hierzu gehören außer dem Briefwechsel Abbados mit berühmten zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten wie George Benjamin, Luciano Berio, Pierre Boulez, Beat Furrer, Sofia Gubaidulina, Hans Werner Henze, György Kurtág, György Ligeti, Witold Lutosławski, Luigi Nono, Wolfgang Rihm, Alfred Schnittke und Karlheinz Stockhausen, Dirigenten wie Leonard Bernstein, Bernard Haitink, Mariss Jansons, Herbert von Karajan, Carlos Kleiber, Zubin Mehta, Riccardo Muti, Seiji Ozawa, Wolfgang Sawallisch und Georg Solti, sowie Musikerinnen und Musikern wie Martha Argerich, Mirella Freni, Swjatoslaw Richter, Mstislav Rostropovič und Rudolf Serkin, auch ein reger schriftlicher Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern und Intellektuellen über Literatur, Theater, Tanz, Film, Bildende Kunst, Photographie, Philosophie und Architektur (z.B. mit Gesualdo Bufalino, Roberto Saviano, Giorgio Strehler, Emilio Vedova, Inge Feltrinelli, Roberto Benigni und Renzo Piano) wie auch mit Politikern (u.a. Carlo Azeglio Ciampi, Mario Draghi, Giorgio Napolitano, Johannes Rau, Wolfgang Schäuble, Gerhard Schröder und Richard von Weizsäcker).

Hinzu kommen Dokumente zu Proben- Konzert-, Aufnahme- und Reiseplanungen sowie Empfehlungsschreiben für angehende Musikerinnen und Musiker, Aussa­gen und Stellungnahmen Abbados zu vielfältigen Thematiken auch außerhalb der Musikwelt oder Dokumente zur sozialen und ökologischen Verpflichtung des Dirigenten (z.B. Aufführung von Benefiz­konzerten und öffentlichen Proben für Benachteiligte, Förderung des Programms zur Begrünung Mailands oder zum Ausbau von Fahrradwegen, Unterstützung eines verfolgten Journalisten usw.).

Abbado war von einem ganzheitlichen Denken und Wirken überzeugt, aus dem erst das Künstler­tum entstünde. Seine Arbeit verstand er stets als einen gesellschaftlichen Auftrag, weswegen sie meis­tens mit Botschaften menschlicher Werte verknüpft war. Seine Programme stellten Zusammen­hänge dar und folgten gezielten und zum Teil langfristig geplanten Musikdramaturgien (wie z.B. in seinen großen Projekten und seinen Berliner Themenzyklen). Diese Gedanken spiegeln sich in der Korrespondenz des Dirigenten schlechthin wider.

Um einen Großteil der Dokumente weltweit zugänglich zu machen, sollen sämtliche Schriftstücke von Claudio Abbado und seiner Hauptassistentin Brigitta Grabner, von deren Erben die Publikationsrechte der Staatsbibliothek zu Berlin hierfür eingeräumt wurden, ergänzend zur vollständigen Katalogisierung digitalisiert und in den Digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin veröffentlicht werden. Dieser die Korrespondenz des Dirigenten betreffende Projektteil wird finanziell durch die DFG ermöglicht.


Weiterführende Literatur

Stockmann, Felicia: „Musikalische Schätze eines großen Maestros: Erschließung und Digitalisierung der Notenbibliothek von Claudio Abbado“, in: Bibliotheksmagazin. Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München 47 (Nr. 2/21), S. 83–87, Berlin und München 2021