Regionale Wirtschaftsentwicklung in qualitativ-quantitativer Doppelperspektive – die Jahresberichte deutscher Handelskammern des langen 19. Jahrhunderts im Open Access

Projektziel

Der hohe Quellenwert und die bislang nur geringe forschungsseitige Rezeption der Jahresberichte der 173 Handelskammern im Deutschland des langen 19. Jahrhunderts stehen zueinander in einem eklatanten Missverhältnis. Dieser Befund dürfte vor allem der komplexen Überlieferungssituation der seit den 1830er Jahren den zuständigen Ministerien der deutschen Staaten erstatteten Handelskammerberichte geschuldet sein. Aufgrund ihres Erscheinens außerhalb des Buchhandels wurden sie nämlich nicht systematisch, sondern meist nur vereinzelt auf lokaler oder regionaler Ebene gesammelt – von Archiven und Bibliotheken gleichermaßen. Gerade angesichts ihrer fragmentierten Verfügbarkeit erscheint die Verbesserung von Visibilität und Zugänglichkeit der historischen Jahresberichte deutscher Handelskammern umso dringender geboten, als sie sich in ihrem vielfältigen Informationsgehalt nicht nur als Grundlage für qualitative wie quantitative Studiendesigns auf den Feldern von Sozial-, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte eignen, sondern insbesondere auch zur Anwendung von Mixed Methods-Ansätzen der Digital Humanities wie z.B. Sentiment Detection und Tabellenextraktion zur Modellierung konjunkturhistorischer Stimmungsbarometer. Denn charakteristisch für diese ab 1871 zunehmend standardisierte Quellengattung ist ihr zweiteiliger Aufbau, bei dem einer verbalen Darstellung der aktuellen bzw. erwarteten Wirtschaftslage im jeweiligen Kammerbezirk – teils sogar disaggregiert auf der Ebene einzelner Unternehmen – ein statistischer Anhang mit Daten zur Entwicklung von Industrie, Handel, Gewerbe und Beschäftigung folgt.

Um den angesprochenen Forschungsperspektiven ein belastbares Quellenfundament zu schaffen, zielt das Vorhaben auf die Digitalisierung und dauerhafte Open Access-Zugänglichmachung der herausragenden Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) an Jahresberichten deutscher Handelskammern bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Die besondere Qualität dieses Bestandssegments – Resultat der Zentralfunktion der SBB in Preußen und Deutschem Reich – dokumentiert dessen Abdeckungsgrad von etwa 80% des in der Zeitschriftendatenbank nachgewiesenen Gesamtkorpus an Handelskammerberichten. Zur nachfragegetriebenen Schließung ihrer vor allem kriegsbedingten Sammlungslücken beabsichtigt die SBB flankierend, Forschenden auch über den Projektzeitraum hinaus einen Fonds zur Verfügung zu stellen, aus dessen Mitteln fehlende Handelskammerberichte auf Wunsch aus dem Bestand anderer Bibliotheken digitalisiert werden können.

Jenseits seines eigentlichen Kernanliegens möchte dieses Vorhaben zugleich die Datenbasis für ein geplantes Folgeprojekt schaffen, das anhand der digitalisierten Handelskammerberichte die Weiterentwicklung von OCR-Verfahren zur automatischen Datenextraktion aus historischen Tabellen zum Gegenstand haben soll – eine hoch komplexe und von den verfügbaren Softwarelösungen bislang nicht zufriedenstellend adressierte Anforderung.

Projektzeit

November 2023 - Oktober 2026

Projektpartner

  • Univ.-Prof. Dr. Mark Spoerer (Universität Regensburg)

Drittmittelgeber

Deutsche Forschungsgemeinschaft

Kontakt

Dr. Christian Mathieu
Benutzungsabteilung / Wissenschaftliche Dienste
Tel.: +49 30 266 433 240
christian.mathieu@sbb.spk-berlin.de

Mehr erfahren zum Projekt

https://blog.sbb.berlin/handelskammerberichte/