Handschriften und Historische Drucke

Geschichte

Schon 1661, im Gründungsjahr der Churfürstlichen Bibliothek zu Cölln an der Spree, war die Handschriftensammlung im Apothekenflügel des Schlosses in einem gesonderten Raum untergebracht.

Kurfürst Friedrich Wilhelm ließ aus den nach dem Westfälischen Frieden für Preußen neu erworbenen Gebieten Handschriften nach Berlin kommen, vor allem aus den rheinisch-westfälischen Landesteilen. Zu den frühen Erwerbungen gehörten bereits Spitzenstücke von außergewöhnlicher Bedeutung:

  • der sog. Codex Wittekindeus aus der berühmten Schreib- und Malschule des Klosters Fulda (Ms. theol.lat. fol. 1 ),
  • Prachthandschriften aus dem Mindener Domkapitel (Ms. theol. lat. fol. 2 , Ms. theol. lat. quart. 1 und 3),
  • der sog. Psalter Ludwigs des Deutschen (Ms. theol. lat. fol. 58 ), eine Zimelie karolingischer Buchmalerei aus dem 9. Jh.,
  • das Gebetbuch der Herzogin Maria von Geldern, 1415 im Kloster Marienborn bei Arnheim entstanden, das wohl schönste Werk niederrheinischer Buchkunst (Ms. germ. quart. 42 ).

Hinzukommen bedeutende deutsche Handschriften wie der Trojanische Krieg Konrads von Würzburg (Ms.germ.fol.1) aus der Werkstatt des Diebold Lauber in Hagenau (Elsaß) und deutsche Mystiker-Handschriften des Straßburgers Daniel Sudermann.

Lutherautographen , sein Handexemplar der hebräischen Bibel, dazu Autographen des überaus rührigen und schillernden Leonhard Thurneisser zum Thurn, Alchimist, Astrologe und Leibarzt von Kurfürst Johann Georg, schließlich das schöne Pergamentexemplar der 42-zeiligen Gutenbergbibel waren weitere Perlen im Gründungsbestand.

In der Folgezeit wurden größere Komplexe an Handschriften aus den Dombibliotheken Brandenburg, Havelberg und Magdeburg nach Berlin überführt.
Herausragende Privatsammlungen gelangten in der nach 1806 einsetzenden Zeit der preußischen Reformen in die Bibliothek, um den Bedürfnissen der Berliner Gelehrten entgegenzukommen, z.B.:

  • die genealogische Sammlung König,
  • die Sammlungen des Generalpostmeisters Karl Ferdinand Friedrich von Nagler mit Handschriften und Inkunabeln,
  • die Kollektionen des Freiherrn Karl Hartwig Gregor von Meusebach mit Handschriften, frühen Drucken zur altdeutschen Literatur und Flugblättern des 15.-18. Jhs. sowie
  • des Germanisten Friedrich Heinrich von der Hagen mit deutschen Handschriften.

Ausdrückliche Erwähnung verdient auch die 1817 erfolgte Schenkung des Geheimen Legationsrates Heinrich Friedrich von Diez mit mehr als 800 Handschriften und ca 17.000 Druckschriften.
Als herausragende Einzelerwerbungen sind zu nennen:

  • der Vergilius Augusteus aus dem 5. Jh., ein Fragment der ältesten erhaltenen Vergilhandschrift (Ms. lat. fol. 416),
  • die Eneide Heinrichs von Veldeke , die älteste bekannte illuminierte Epenhandschrift (Ms. germ. fol. 282) und
  • die einzige bekannte Bilderhandschrift des Nibelungenliedes (Ms. germ. fol. 855).

Höhepunkte der Bestandsentwicklung waren die Jahre zwischen 1870 und 1914.

Die in dieser Zeit getätigten Ankäufe und Schenkungen, die den europäischen Rang der seit 1886 eigenständigen Handschriftenabteilung unter ihrem ersten Direktor, Valentin Rose, begründeten, sind sicherlich im Zusammenhang mit dem Ausbau Berlins zu einer kulturellen Hauptstadt nach der Reichsgründung von 1871 zu sehen.
Als epochale Einzelerwerbung können die 1876 erworbenen berühmten sog. Quedlinburger Itala-Fragmente aus dem 4./5. Jh. gelten, das älteste bisher bekannte Beispiel spätantiker frühchristlicher Buchmalerei (Ms. theol. lat. fol. 485). Entdeckt wurden die Fragmente von Quedlinburger Stiftsarchivaren bei der Durchsicht ihres Bestandes.
Die Sammlung des Alexander Douglas, 10th Duke of Hamilton, überaus reich an kunsthistorisch wertvollen Handschriften aus Frankreich und Italien, konnte vom Kupferstichkabinett der Königlichen Museen und von der Königlichen Bibliothek nahezu geschlossen übernommen werden (1882).
Ebenfalls aus England kam der wertvollste Teil der riesigen Handschriftenbibliothek von Sir Thomas Phillipps, die Codices Meermaniani (1889), so benannt nach ihrem Vorbesitzer, dem niederländischen Rechtsgelehrten Gerard Meerman, sie waren vormals im Besitz des Pariser Jesuitenkollegs gewesen; weitere Phillipps-Handschriften (über 300) gelangten in den Jahren 1893-1912 in die Bibliothek.
Die Schloßbibliothek der österreichischen Fürsten von Starhemberg (darin ca 220 Handschriften, erworben 1889) brachte wichtige Texte der deutschen Literatur, ein bevorzugtes Sammelgebiet der Berliner Bibliothek, deren Reichtum an mittelalterlichen deutschen Handschriften nur in Heidelberg, München und Wien seinesgleichen findet.
Aus der Bibliothek des Koblenzer Gymnasialdirektors Joseph Görres kamen Handschriften der säkularisierten Klöster St. Maximin in Trier und Himmerod in der Eifel, darunter das prachtvoll ausgestattete, aus dem Kloster Tours stammende Prümer Evangeliar als besonderes Spitzenstück (Ms. theol. lat. fol. 733). Diese Erwerbung ist durchaus singulär, da Bestände aus säkularisierten Klöstern für die Berliner Bibliothek im Gegensatz zu den bedeutenden süddeutschen Bibliotheken infolge ihres geographischen Umfeldes kaum erreichbar waren.

Weitere nennenswerte Handschriftenzuwächse verdankte die Bibliothek den disponiblen Beständen der Stadtbibliothek Erfurt sowie den Gymnasialbibliotheken Salzwedel (Altmark) und Heiligenstadt mit dem Bestand der säkularisierten Klöster des Eichsfeldes.

Neben mittelalterlichen Codices wurden als Grundlagen für Editionen und Wissenschaftsgeschichte seit dem 19. Jh. Nachlässe und Autographen von Schriftstellern und Gelehrten gleichberechtigt gesammelt.

Zu der an Porträtstichen und Autographen reichen Sammlung des Reichsgrafen von Krasicki, Erzbischof von Gnesen, (1804) und der universalen Autographensammlung Josefs von Radowitz (1864) gesellten sich die für die Berliner Geistesgeschichte außergewöhnlich wichtige Autographensammlung des Berliner Publizisten und Schriftstellers Karl Varnhagen von Ense (1880) und diejenige des Industriellen Ludwig Darmstaedter (1907), auf Technik und Naturwissenschaften spezialisiert, womit ein weiterer wichtiger Erwerbungsschwerpunkt in der Handschriftenabteilung begründet worden ist.
Das 19. Jh. bescherte der Bibliothek auch einen eminenten Reichtum an Dichternachlässen höchster Qualitätsstufe: Gottfried Herder, Jakob Lenz, Jean Paul Richter, Ludwig Tieck, Joseph Eichendorff, Adelbert von Chamisso, später ergänzt durch den Nachlaß Gerhart Hauptmanns.

Hinzutreten nicht minder bedeutende Gelehrtennachlässe, darunter: Friedrich August Wolf, Johann Heinrich Samuel Formey (Sekretär der Akademie der Wissenschaften), Jacob und Wilhelm Grimm , Georg Wilhelm Hegel (das letzte noch im Besitz seiner Erben befindliche Tagebuch aus der Stuttgarter Gymnasialzeit konnte jüngst erworben werden), Arthur Schopenhauer, Friedrich Nicolai, Johann Gottlieb Fichte, Theodor Mommsen, Carl Ritter.

Bedeutende Manuskripte von Heinrich von Kleist, Johann Wolfgang von Goethe, Eduard Mörike, Christian Dietrich Grabbe, Theodor Fontane und Hermann Hesse kamen zudem in verschiedenen Erwerbungszusammenhängen in die Bibliothek.

Die durch die beiden Weltkriege ausgelöste Stagnation und Bestandsverminderung hat die Handschriftenabteilung schwer betroffen.

Die Zuwächse zwischen 1918 und 1938 umfaßten nur noch Einzel- oder Teilankäufe: einzelne Handschriften aus der Fürstlich-Stolbergischen Bibliothek in Wernigerode, der Bibliothek des Fürsten Dietrichstein aus Nikolsburg in Mähren, der Bibliothek Oettingen-Wallerstein in Maihingen.
Bedeutsam waren der Ankauf des Sturm-Archivs mit seinen Dokumenten zur Geschichte des Expressionismus, erwähnenswert Briefe und Manuskripte von Rainer Maria Rilke, Briefe Paul Heyses an Erich Wichert, die Nachlässe Adolf von Harnacks, Leopold von Rankes, Heinrich Treitschkes.

Herausragend jedoch war die Erwerbung der Weltchronik Heinrichs von München, einer prachtvoll illuminierten Handschrift aus der Bibliothek der Fürsten von Waldeck/Residenzschloß Arolsen (Ms. germ. fol. 1416).

Um dem Verlust der Handschriften bei einer möglichen kriegsbedingten Zerstörung der Bibliothek vorzubeugen, wurden die Bestände der Handschriftenabteilung während des Krieges vorsorglich auf verschiedene Auslagerungsorte (Schlösser, Herrenhäuser, Klöster, Bergwerke) im damaligen Deutschen Reich verteilt.

Wertvolle Teile aus vielen Signaturengruppen, die ausgelagert waren, sind nach dem Kriege nicht mehr an ihren ursprünglichen Standort zurückgekehrt. Sie gelten als verschollen oder werden in der Biblioteka Jagiellonska in Krakau aufbewahrt, wobei inhaltlich Zusammengehöriges oftmals auseinandergerissen ist. Zwei der drei großen, jeweils Hunderttausende von Einzelstücken umfassenden Autographen-Sammlungen der ehemaligen Preussischen Staatsbibliothek befinden sich noch immer in Krakau.

Die nach Berlin zurückgekehrten Handschriften verteilten sich infolge der politischen Teilung Deutschlands auf zwei Häuser, den Ihne-Bau Unter den Linden und (seit 1978) den Scharoun-Bau Potsdamer Straße.

1997 erfuhr die geteilte Handschriftenabteilung durch die Zusammenführung in das Haus Potsdamer Str. ihre endgültige Neu-Konsolidierung.

Nach zögerlichem Anfang in den ersten Nachkriegsjahren erfolgte eine erfreuliche Belebung der Bestandserweiterung. In der 1952 im westdeutschen bzw. West-Berliner Bibliotheksteil neu angelegten Signaturengruppe „Hdschr." gab es herausragende Zuwächse, z.B.:

  • eine prachtvoll illuminierte französische Valerius-Maximus-Handschrift,
  • eine Kopie des Widmungsexemplars für Herzog Jean de Berry (Hdschr.94),
  • ein Glockendon-Stundenbuch aus Nürnberg (Hdschr.164),
  • mittelhochdeutsche Handschriften (Sammlung Jörn Günther) aus der Adelsbibliothek der Grafen von Ortenburg auf Schloß Tambach bei Coburg/Oberfranken (Hdschr.382-421).

Hinzutreten 123 mittelalterliche lateinische Handschriften aus dem Domgymnasium Magdeburg als substantielle Neuerwerbungen im Haus Unter den Linden im damaligen Ostteil der Bibliothek.

Zu den wichtigen Nachkriegserwerbungen zählen die Nachlässe Fanny Lewald/Adolf Stahr, Max Born, Friedrich Rietschl (mit Nietzsche-Briefen), Ferdinand Sauerbruch, Dietrich Bonhoeffer, Gustaf Gründgens und das Archiv des ehemaligen Berliner Antiquariats Breslauer sowie die Lowenthalsche Sammlung zur Geschichte der Juden in Deutschland.

Als Deposita kamen die Archive des Walter de Gruyter- Verlags und des Aufbau-Verlags Berlin in die Bibliothek, Fundgruben von eminenter kulturgeschichtlicher und kulturpolitischer Bedeutung für das 19. und 20. Jh.

Weiter

Das Sammlungspanorama der Handschriftenabteilung umfaßt neben den abendländischen Handschriften, Nachlässen und Autographen auch Inkunabeln und Einblattmaterialien.

Der Handschriftenabteilung angegliedert ist im Haus Unter den Linden die Redaktion des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke mit der Inkunabelsammlung, die zwar große Kriegsverluste erlitt, aber durch die Fülle der erhalten gebliebenen besonders raren und wertvollen deutschen und bebilderten Frühdrucke und durch die in ihnen vertretenen ganz frühen Offizinen mit ihren Incunabula incunabulorum höchst wertvoll ist.

Auf verschieden langen Sammeltraditionen, die aber wenigstens bis in das 19. Jh. zurückreichen, beruhen die Einblattmaterialien der Handschriftenabteilung, Einblattdrucke zur deutschen Geschichte und Kulturgeschichte seit dem 15. Jh., Flugblattpropaganda des 2. Weltkriegs und des Kalten Kriegs, Theaterzettel vornehmlich des 19. Jh., Exlibris und eine sehr umfangreiche Porträtsammlung, die ihren Ursprung, nämlich in Nachlässen enthaltene Personen zu illustrieren, weit hinter sich ließ.