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Die Berliner Musikmäzenin Sara Levy

Begabte Cembalistin, eifrige Sammlerin von Musikquellen, Repräsentantin der frühen Bach-Pflege, Berliner Salonnière, vielseitige Musikmäzenin und nicht zuletzt Großtante von Felix Mendelssohn Bartholdy  –  dies alles war Sara Levy (auch Levi oder Löwy geschrieben).

Sara Levy wurde 1761 als zehntes Kind des Berliner Bankiers und Hofjuden Daniel Itzig und seiner Frau Miriam, geb. Wulff, geboren. Daniel Itzig hatte als „Finanz-Entrepreneur“ Friedrichs des Großen eine Ausnahmestellung im Preußischen Staat inne; entsprechend repräsentativ nahm sich auch das „Itzig’sche Palais“ in direkter Nähe des Berliner Schlosses aus. Die Eltern legten großen Wert auf eine umfassende Bildung ihrer insgesamt 16 Kinder, dabei spielte vor allem die Musik eine zentrale Rolle. Früh wurde das Werk Johann Sebastian Bachs in der Familie gepflegt – sicher maßgeblich angeregt durch den Bach-Schüler Johann Philipp Kirnberger, der Sara Levys ältere Schwester Bella Salomon, die Großmutter Felix Mendelssohn Bartholdys, im Klavierspiel unterrichtete. Zu Sara Levys Musiklehrern wiederum soll der älteste Bach-Sohn Wilhelm Friedemann gehört haben.

Bereits im elterlichen Palais trat Sara Levy anlässlich musikalischer Gesellschaften als Cembalistin in Erscheinung, häufig gemeinsam mit der nur ein Jahr älteren Schwester Zippora. Nach ihrer Hochzeit mit dem Bankier Samuel Salomon Levy im Jahr 1783 spielte sie gelegentlich im Rahmen der sog. „Fliessischen Koncerte“ und begann wenig später auch bereits, einen eigenen Salon zu führen. In diesem Salon, den sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1854 führte, verkehrten zahlreiche Berliner Musiker, Literaten, Künstler und Intellektuelle der damaligen Zeit.

Ab etwa 1806 richteten sich Sara Levys  musikalische Aktivitäten zunehmend auf die Sing-Akademie zu Berlin, die damals von Carl Friedrich Zelter geleitet wurde. Gemeinsam mit dem der Sing-Akademie angegliederten Instrumental-Ensemble, der sog. „Ripien-Schule“, brachte sie zwischen 1807 und 1815 etliche Cembalo- bzw. Klavierkonzerte der Bach-Söhne (aber auch anderer Komponisten) zu Gehör.

Sara Levy gab aller Wahrscheinlichkeit nach Werke bei den beiden ältesten Bach-Söhnen Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel in Auftrag und regte daneben auch Joseph Haydn zu Kompositionen an. Sie subskribierte etliche Drucke mit anspruchsvoller Tastenmusik (auch von Johann Christoph Friedrich und Johann Christian Bach) und beförderte auf diese Weise mäzenatisch die Verbreitung der Musik der Bach-Söhne.

Im Laufe ihres langen Lebens – sie wurde 93 Jahre alt – trug sie eine umfangreiche Sammlung wertvoller Musikhandschriften und -drucke zusammen, darunter mehrere Autographe der Bach-Söhne, aber auch Quellen mit Werken von Carl Heinrich und Johann Gottlieb Graun, Johann Gottlieb Janitsch, Georg Philipp Telemann, Johann Joachim Quantz und anderen. Große Teile dieser Sammlung gab sie allerdings schon zu Lebzeiten an die Sing-Akademie zu Berlin ab; die bei ihr verbliebenen Quellen gingen nach ihrem Tod zunächst an Zwischenbesitzer, wurden nachfolgend durch Veräußerung jedoch in die ganze Welt verstreut.

Der an die Sing-Akademie zu Berlin gegangene Teil ihrer Notensammlung kann seit 2002 – dem Jahr der Rückkehr des Archivs aus Kiew nach Deutschland – in der Staatsbibliothek zu Berlin erforscht werden und ist außerdem vollständig im RISM-OPAC erschlossen. Zurzeit verzeichnet der RISM-OPAC insgesamt fast 500 Werke in Quellen, die mit Sara Levy als Vorbesitzerin in Verbindung stehen.

Musikhandschriften aus ihrem Besitz tragen oft einen kleinen Rundstempel, auf dem das Monogramm „SSLev“ zu sehen ist. Das verschlungene Doppel-S im Monogramm deutet laut neueren Erkenntnissen daraufhin, dass der Besitzstempel von den Eheleuten Samuel und Sara Levy gemeinsam verwendet worden sein könnte. Auch findet sich gelegentlich der Namenszug „Sara Levy geb Itzig“ auf den Titelseiten der in ihrem Besitz befindlichen Quellen.

  • Cornelia Bartsch: Artikel „Levy, Sara“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 07.5.2020. 
  • Peter Wollny: „Ein förmlicher Sebastian und Philipp Emanuel Bach-Kultus“. Sara Levy und ihr musikalisches Wirken. Mit einer Dokumentensammlung zur musikalischen Familiengeschichte der Vorfahren von Felix Mendelssohn Bartholdy. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 2010. (= Beiträge zur Geschichte der Bach-Rezeption, herausgegeben vom Bach-Archiv Leipzig, Bd. 2). 
  • Henzel, Christoph: „Die Musikalien der Sing-Akademie zu Berlin und die Berliner Graun-Überlieferung.“ In: Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2002, Mainz [u.a.]: Schott 2004, S. 60–106. 
  • Bach-Archiv Leipzig / Internationale Mendelsohn-Stiftung (Hg.): „‚Bach-Kultus’ in Berlin um 1800. Sara Levy und ihr musikalisch-literarischer Salon“. In: Katalog zur Ausstellung im Gartenhaus des Mendelssohn-Hauses Leipzig vom 30. Oktober bis 15. Dezember 2002. 
  • Wollny, Peter: „‚Ein förmlicher Sebastian und Philipp Emanuel Bach-Kultus’. Sara Levy, geb. Itzig und ihr literarisch-musikalischer Salon“. In: Anselm Gerhard (Hg.): Musik und Ästhetik im Berlin Moses Mendelssohns. Tübingen: Max Niemeyer 1999 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 25, hg. v. der Lessing-Akademie), S. 217–255. 
  • Wollny, Peter: „Sara Levy and the Making of Musical Taste in Berlin“, In: The Musical Quarterly, Jg. 77, 1993, S. 651–688.

Neue Kammermusik von J. J. Quantz?

Die Quellen des Archivs der Sing-Akademie zu Berlin bereichern in vielen Fällen unsere Werkkenntnis zu einzelnen Komponisten. Dies trifft auch auf den einstigen Flötisten der Sächsischen Hofkapelle und nachmaligen „Cammercompositeur“ Friedrich II. Johann Joachim Quantz (1697-1773) zu. So wurden bereits vor einigen Jahren im Archiv unter den Musikalien aus der Sammlung von Sarah Levy (1761-1854) sechs bislang unbekannte Quartette für Flöte, Violine, Viola und Basso continuo von Quantz identifiziert, die heute unter den Werknummern QV 4: 8 - QV 4: 13 geführt werden.[1] Darüber hinaus liegt mit der Quelle SA 791  ein teilautographer „Motetto, â voce Sola, con strum: […]“ vor, also eine Solomotette für Sopran und Orchester, die dem Quellenbefund nach noch aus der Dresdner Lebensphase von Quantz  stammt.

Dies belegt nicht nur das aus Sachsen stammende Papier, auf dem das Werk notiert wurde, sondern auch der Umstand, dass am Ausschreiben der Stimmen neben Quantz ein in Quellen Dresdner Provenienz nachgewiesener Kopist beteiligt ist.[2] Und noch eine weitere, wesentlich prominentere Handschrift lässt sich an wenigen Stellen innerhalb des Manuskriptes ausmachen - diejenige von keinem Geringeren als Johann Adolf Hasse (1699-1783).[3] Damit wird klar, dass der Motetto auf den Text „Exultate o stellae beatae“ erst ab 1731 entstanden sein kann, denn erst ab dieser Zeit hielt sich Hasse phasenweise in Dresden auf. Das Werk zeigt Quantz als virtuosen Vokalkomponisten - eine Qualität, die die Quantz-Biographik bislang nicht für diesen in Anspruch nehmen konnte. Damit jedoch lässt die Quelle zugleich die Frage aufscheinen, ob das Dresdner „Frühwerk“ von Quantz nicht weit umfassender und vor allem vielfältiger war, als uns das die bislang bekannten, aus der Dresdner Zeit von Quantz stammenden Quellen suggerierten? Diese Frage unterstreicht auch eine weitere, erst jüngst in das Blickfeld gerückte Quelle, ein Quartett G-Dur für Flöte, zwei Violinen und Bass, das im Archiv der Berliner Sing-Akademie unter der Signatur SA 3905 aufbewahrt wird. Das Werk wurde bislang als anonym klassifiziert. Eine nähere Untersuchung führt jedoch zu der Erkenntnis, dass es sich wiederum um einen Stimmensatz von der Hand  von Quantz handelt. Wie in dem Motetto „Exultate o stellae beatae“ verwendet Quantz das in Dresden verbreitete Papier mit dem Wasserzeichen „E S“ im Falz. Das mit „Cappriccio â 4.“ überschriebene Werk besteht aus den Sätzen „Cappriccio“ - „Adagio“ und „Allegro“. Der von Quantz auf dem Umschlag zu dem Stimmensatz notierte vollständige Titel lautet „Cappriccio. | â 4. | Flute Travers: | Violino Primo. | Violino Secondo. | et | Basso“ und teilt somit keinen Autor mit. Insofern und vor allem mangels vergleichbaren Materials lässt sich eine eindeutige Autorschaft von Quantz für dieses Werk bislang weder restlos sicher behaupten, noch kann diese rundweg in Zweifel gezogen werden.

[1] Vgl. auch die vorliegende moderne Ausgabe zu diesen Werken: Johann Joachim Quantz. Six quartets for flute, violin, viola and basso continuo, Ed. by Mary Oleskiewicz. Ann Arbor 2004.

[2] Dieser Kopist ist laut einer freundlichen Mitteilung von Frau Ortrun Landmann (Dresden) in folgenden Quellen Dresdner Provenienz anzutreffen: D-Dl Mus. 2477-F-101 (J. A. Hasse, Intermezzo „Il tuttore“) und D-Dl Mus. 2159-D-8A (A. Lotti, „Credidi“).

[3] Offenbar nahm Hasse eine Korrektur des Manuskriptes vor. So findet sich in Violine II auf Folio 18a oben der Eintrag „pia:“ von der Hand Hasses. Auch diese Beobachtung verdankt sich  Ortrun Landmann (Dresden).     


Der musikalische Nachlass des Berliner Kupferstechers Georg Friedrich Schmidt (1712-1775)

Unter den Beständen der Instrumentalmusik des Archivs der Sing-Akademie konnten jüngst Teile des musikalischen Nachlasses des Berliner Malers und Kupferstechers Georg Friedrich Schmidt (1712-1775) identifiziert werden. Schmidt zählte zu den führenden Kupferstechern in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ausgebildet zunächst in der Berliner Akademie (ab 1727), verfeinerte er seinen Stil später in Paris bei Nicolas Lancret, Nicolas de Larmessin und Hyacinthe Rigaud. 1742 wurde er Mitglied der Académie Royale. Nach seiner Ernennung zum preußischen Hofkupferstecher durch Friedrich II. kehrte Schmidt 1743 nach Berlin zurück. 1757 wurde er an den Hof nach St. Petersburg berufen, wo er auf Wunsch der russischen Zarin Elisabeth Petrowna eine Kupferstecherschule begründete. Sein Russlandaufenthalt dauerte bis 1762. Dort entstand auch jenes berühmte "Selbstbildnis mit Spinne".

Im Hintergrund des Bildes ist u.a. eine Geige zu sehen - ein Hinweis auf Schmidts musikalische Begabung. Mehr darüber erfährt man in Carl Friedrich Zelters Autobiographie, denn Schmidt war ein Großonkel Zelters: "Im Januar 1775 starb mein Großoheim, der Kupferstecher Schmidt. Meine Großmutter mütterlicher Seite und deren Schwester waren die einzigen Erben eines bedeutenden Vermögens und einer höchst merkwürdigen Kunstsammlung von Gemälden, Kupferplatten, Kupferstichen und Zeichnungen der größten Meister aller Zeiten. [...] Was mich aber über alle Fassung entzückte, war die Entdeckung eines vollständigen Apparats der schönsten musikalischen Instrumente, um ein Konzert auszustatten: herrliche italienische Violinen und Bratschen; ein treffliches altes Violoncell; ein französischer Flügel und eine unendliche Anzahl Konzerte, Ouvertüren, Sinfonien, Trios, Quadros und Duetten, schön geschrieben und von den besten Meistern." [Quelle: Carl Friedrich Zelters Darstellungen seines Lebens. Hrsg. Von Johann-Wolfgang Schottländer, Weimar 1931, S. 37].

Ein Teil dieser "schön geschrieben[en]" [Quelle: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 bis 1832, hrsg. Von Hans-Günther Ottenberg und Edith Zehm, in: Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke seines Schaffens, Münchner Ausgabe, Band 20.I, München 1991, S. 693, 1510, 1519, 1536f., 1540-1545] Noten sowie des übrigen Erbes, insbesondere zahlreiche Kupferstiche, sind später in Zelters Besitz übergegangen, worauf ausführlich in der Korrespondenz Zelters mit J. W. Goethe Bezug genommen wird. Ausgangspunkt für die Identifizierung von Teilen jener Notenbestände, die auf Zelter aus dem Schmidt-Nachlass überkommen waren, ist ein in einzelnen Handschriften anzutreffender Eintrag in kyrillischer Schrift "Ѓ.Ф.ШМИТЪ", der als Possessorvermerk "G. F. SCHMIDT" gedeutet werden kann. Der biografische Hintergrund für die Verwendung von kyrillischen Buchstaben ist evident. Derartige Vermerke finden sich in zahlreichen Abschriften mit Kammermusik der Brüder Graun [Kommentar: z.B. SA 3408, 3674, 3691, 3708, 3715, 3716, 3718, 3762, 4072, 4076, 4090]. Hauptschreiber der Musikalien aus Schmidts Besitz ist der Kopist "Berlin63" [Kommentar: vgl. GraunWV]. Dieser wiederum hat mit dem seit 1760 in der Berliner Hofkapelle als Violinist wirkenden Musiker August Kohne zusammengearbeitet, wie u.a. aus den Quellen SA 4076 und SA 4090 ersichtlich wird. Auch Schmidts eigene Handschrift kann an verschiedenen Stellen in den Manuskripten nachgewiesen werden. Erst nach Einarbeitung der kompletten Kammermusik innerhalb des Projektes wird sich der volle Umfang dieser wichtigen Teilsammlung ermessen lassen. [24.7.2008 Tobias Schwinger]