Musik

Die Konversationshefte Ludwig van Beethovens

In den Jahren seiner tragischen Ertaubung war Ludwig van Beethoven schließlich gezwungen, auf schriftliche Verständigung mit seiner Umwelt überzugehen. Gerhard von Breuning erwähnt in seinen „Erinnerungen“, dass stets ein „aus Conceptpapier zur Octavform gefaltetes und genähtes Correspondenzheft sammt Bleistift“ und eine „Schiefertafel sammt Griffel“ bereitlagen, die Beethovens Gesprächspartner wechselweise benutzten.

Während mittels der Schreibtafel geführte Gespräche jeweils gelöscht wurden und somit verloren sind, wurden die Eintragungen in den Heften, für die sich im deutschen Sprachraum der Begriff „Konversationshefte“ durchgesetzt hat, zu seltenen Zeugnissen.

139 Konversationshefte haben sich der Nachwelt erhalten, 137 bewahrt als kostbaren Besitz, seit 1935 in weinroten Ledereinbänden, die Staatsbibliothek zu Berlin, zwei weitere befinden sich im Beethoven-Haus Bonn. Die Dokumente bieten der Beethoven-Forschung biographisches Material für die Jahre 1818 bis März 1827: Beethovens Prozess um die Vormundschaft über den Neffen Karl 1819/20, die Vorbereitungen für die Akademie vom 7. Mai 1824 mit der Uraufführung der 9. Sinfonie, die Schaffensperiode der späten Streichquartette, die Sorgen um die Ausbildung des Neffen und dessen Suizidversuch sowie die Phase der letzten schweren Erkrankung. Darüber hinaus sind die Hefte eine wertvolle kulturhistorische Quelle.

Als Gesprächspartner erscheinen neben den nächsten Verwandten, dem Neffen Karl und dem Bruder Johann, die Helfer in vielen Angelegenheiten des Alltags Franz Oliva, Anton Felix Schindler, Joseph Carl Bernard und Karl Holz, weiterhin der elfjährige Franz Liszt und sein Lehrer Carl Czerny, die Geiger Ignaz Schuppanzigh und Joseph Michael Böhm, der Dichter Franz Grillparzer, die Verleger Tobias Haslinger und Mathias Artaria, Ignaz Moscheles, Friedrich Kuhlau, Maurice Schlesinger, die Sängerinnen Nanette Schechner, Henriette Sontag und Caroline Unger, die behandelnden Ärzte Braunhofer, Malfatti und Wawruch sowie schließlich Stephan von Breuning mit seinem Sohn Gerhard.

Beethoven selbst beteiligte sich an den Gesprächen mündlich, jedoch finden sich in seltenen Fällen schriftliche Äußerungen, etwa in der Unterhaltung mit einem Leidensgenossen oder wenn er befürchtete, in der Öffentlichkeit zu laut zu sprechen. Im Allgemeinen nutzte er die Hefte für eigene Eintragungen von Gedanken und Reflexionen, kleineren Skizzen, z. B. zum Kanon „Kühl, nicht lau“ WoO 191, sowie für Notizen aus Zeitungen.

Nach Beethovens Tod beschäftigte sich zunächst Anton Felix Schindler mit der inhaltlichen Auswertung der Hefte, die vermutlich widerrechtlich in seinen Besitz gelangt waren. In Vorbereitung zu seiner Beethoven-Biographie versah er sie mit Annotationen und Kommentaren, fügte allerdings auch, wie von D. Beck und G. Herre 1977 auf dem Internationalen Beethoven-Kongress in Berlin nachgewiesen werden konnte, zahlreiche fingierte eigene Gespräche mit Beethoven ein, z. B. Bemerkungen über die „Zwei Principe“ in Verbindung mit den Klaviersonaten op. 13 und 14 und den Mälzel-Kanon als Motiv zum 2. Satz der 8. Sinfonie.

1846 verkaufte Schindler die Konversationshefte zusammen mit weiteren Stücken aus Beethovens Nachlass an die damalige Königliche Bibliothek. Zahlreiche Forscher nahmen Einblick in die Dokumente. Die wiederholt geforderte vollständige Veröffentlichung der Hefte wurde um 1924 von Walter Nohl mit einem ersten Halbband, später von Georg Schünemann, der kriegsbedingt bis 1943 nur drei Bände (37 Hefte) veröffentlichen konnte, versucht.

Erst ab 1964 wurde das Projekt einer Gesamtausgabe „Ludwig van Beethovens Konversationshefte“, durch eine Vereinbarung zwischen der Deutschen Staatsbibliothek Berlin und dem VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig (1992 vom Verlag Breitkopf & Härtel Wiesbaden übernommen) verwirklicht (Herausgeber: K.-H. Köhler, G. Herre, D. Beck). Erschienen sind bis zum Jahr 2001 11 Bände.

Grita Herre