Musik

Ziele und Methoden


Tiefenerschließung

Etwa 10.000 Signatureneinheiten umfasst die Sammlung autographer Musikhandschriften der Staatsbibliothek zu Berlin. Während die Quellen so bekannter Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn Bartholdy und Carl Maria von Weber bereits in gedruckten Katalogen erschlossen sind, ist ein Großteil der Sammlung bisher nur rudimentär und in inhomogener, zumeist unbefriedigender Qualität im Zettelkatalog nachgewiesen. Eines der Ziele des KoFIM-Projekts ist die Erschließung dieses Bestands nach gängigen Standards im Internationalen Quellenlexikon der Musik (RISM). Die Quellen werden dadurch online im RISM-OPAC recherchierbar, sodass sich die Nachweissituation nachhaltig verbessert.

Im Zentrum der Erschließung stehen etwa 7.500 Quellen des 17. bis frühen 19. Jahrhunderts, da diese aufgrund ihrer Papier- und Schreiber-Spezifika auch für die weiteren Ziele des Projekts einen besonderen Erkenntnismehrwert versprechen.

Die bekannten Namen wie Bach, Beethoven und Mozart bleiben dabei bewusst ausgespart, da entsprechende Kataloge bereits existieren.

Dennoch stellen die verbleibenden Quellen - gerade auch im Hinblick auf eine Aufbrechung des 'Kanons der Großen' - vielfach hochinteressantes Material dar.
Bisher wurden die Komponisten mit den Anfangsbuchstaben A bis F (darunter Quellen von Johann Friedrich Agricola, Daniel-François-Esprit Auber, Vincenzo Bellini, Georg Benda, Antonio Caldara, Luigi Cherubini sowie Johann Friedrich und Carl Friedrich Fasch) vollständig erschlossen, G bis K sind derzeit in Arbeit.

Bei der Erschließung werden Komponist und Werk - möglichst im Abgleich mit bestehenden Werkverzeichnissen - mitsamt Besetzungsangaben erfasst, Vorbesitzer und Provenienzgänge ermittelt, der autographe Status geprüft, der physische Zustand der Quelle beschrieben sowie Text- und Notenincipits eingegeben. Dabei ergeben sich zum Teil Neuzuschreibungen der Komponisten, einige angebliche Autographe konnten zudem als Abschriften identifiziert werden. Wenn möglich, wurden in diesen Fällen die jeweiligen Schreiber ermittelt. Entsprechende Erkenntnisse sind unter dem Punkt Ergebnisse dokumentiert. Auch die verbale Beschreibung von Wasserzeichen, die durch digitale Thermografieaufnahmen ergänzt wird, gehört im Wesentlichen zur Erschließung und wird in die Datenbank aufgenommen.


Digitale Dokumentation von Schreiberhänden

Die Schreiberforschung, die auf aussagekräftige Abbildungen von Schreiberhänden angewiesen ist, stellt eine wichtige Disziplin innerhalb der musikphilologischen Quellenforschung dar. Da die Musikautographensammlung der Staatsbibliothek zu Berlin - ihrem Namen entsprechend - weitestgehend aus Quellen besteht, die vom Komponisten selbst geschrieben wurden, lassen sich viele Handschriften, gerade auch wenig bekannte, namentlich identifizieren. Sie stellen für die Forschung ein besonders wertvolles Vergleichsmaterial dar, das zukünftig im Internationalen Quellenlexikon der Musik abgebildet werden soll: Alle im Bestand vorkommenden Schreiberhände, sowohl von Komponisten (Autographe) als auch von Kopisten (Abschriften), werden dort anhand digitaler Schriftproben dokumentiert. Dazu werden charakteristische Beispielseiten ausgewählt, die typische Aspekte der Handschrift wie Schlüssel, Taktsignaturen, Pausenzeichen etc. zeigen. Unterschiedliche Schriftstadien wie Früh-, Spät-, Konzept- oder Reinschrift werden eigens erfasst. Die ausgewählten Seiten, bei Werken von geringem Umfang die gesamte Quelle, werden anschließend im regulären Workflow der Staatsbibliothek digitalisiert. Links zum digitalen Dokument werden in der RISM-Datenbank nicht nur in den Quellendatensatz, sondern zusätzlich in den Personendatensatz eingepflegt, sodass an dieser Stelle eine Übersicht über die Entwicklung der jeweiligen Handschrift entsteht. Das Internationale Quellenlexikon der Musik soll so zu einer virtuellen Schreiberkartei für die musikphilologische Forschung ausgebaut werden.


Digitale Dokumentation von Wasserzeichen

Die Untersuchung von Wasserzeichen ist seit langem ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil musikalischer Quellenforschung. Im Rahmen des Projekts werden die Wasserzeichen in Handschriften des Autographenbestands erstmals umfassend ausgewertet und in der RISM-Datenbank im entsprechenden Freitextfeld erfasst. Zusätzlich soll analog zur Schreiberdokumentation durch die exemplarische digitale Dokumentation von in erster Linie datierten Wasserzeichen ein Referenzdatenbestand in RISM aufgebaut werden. Dabei kommt eine vom Fraunhoferinstitut für Holzforschung in Braunschweig speziell für die Aufnahme von Wasserzeichen entwickelte Thermographiekamera zum Einsatz. Dieses Verfahren eignet sich besonders gut, um Überlagerungen des Wasserzeichens durch Schrift zu eliminieren.

Die Wasserzeichen-Digitalisate werden in der Datenbank des Stuttgarter Wasserzeicheninformationssystems (WZIS) vorgehalten. Die Kooperation mit WZIS gewährleistet zum einen die Sichtbarkeit des Wasserzeichenbestands der Autographensammlung in dem für Deutschland zentralen Nachweissystem von Wasserzeichen. Darüber hinaus ergeben sich durch Vermessung, Klassifikation und Vergabe von Metadaten in WZIS vielfältige Recherchemöglichkeiten, etwa nach identischen Wasserzeichen. Über einen Link in der RISM-Datenbank ist der Zugriff auf das jeweilige Wasserzeichen im Online-Präsentationssystem von WZIS möglich.


Vereinheitlichung von Schreibernomenklaturen

Der Forschungszweig der Schreiberforschung soll in das Projekt unter zwei Aspekten ein­fließen: Einerseits werden Komponisten als Schreiber eigener und als Kopisten fremder Werke in den Blick genommen (Arbeitspaket 2), andererseits sollen bereits in Nomenklaturen erfasste Schreiber (Kopisten) datenbankgestützt dokumentiert werden. Vor allem für den Zeitraum von der zweiten Hälfte des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gilt, dass die Mehrzahl der handschriftlich überlieferten musikalischen Quellen von meist anonymen Kopisten stammt.

Die Identifizierung, Benennung und der Vergleich von Notenkopisten ist nach wie vor ein zentrales Problem der Musikphilologie. Die Schreiberforschung geht dabei teilweise unsystematisch vor, was sich unter anderem in einer je nach Autor und Betrach­tungsweise differierenden Benennung identischer Schreiber äußert. Das Er­kennen von Querverbindungen zusammenhängender Quellen innerhalb und außerhalb eines Bestands über identische Schreiber wird dabei durch die unterschiedli­che Syntax bei der Bildung der Schreibersigel erheblich erschwert.

Für die Namenbildung werden verschiedene Prinzipien angewendet: eine fortlaufende Zählung (etwa bei Paul Kast: Die Bach-Handschriften der Berliner Staatsbibliothek, Trossingen 1958), die Benennung nach dem Komponisten der überlieferten Werke (bei Eva Renate Blechschmidt: Die Amalien-Bibliothek. Musikbibliothek der Prinzessin Anna Amalia von Preußen (1723 - 1787). Historische Einordnung und Katalog mit Hinweisen auf die Schreiber der Handschriften (= Berliner Studien zur Musikwissenschaft, 8). Berlin 1965) sowie nach dem Fundort (bei Christoph Henzel: Graun-Werkverzeichnis (GraunWV), Beeskow 2006).

Eine bei Bedarf aktualisierbare Dokumentation von Konkordanzen fehlt bislang. Dem soll im Rahmen des Arbeitspaketes 4 durch die Zusam­menführung der verschiedenen Nomenklaturen an einer zentralen Stelle - der Daten­bank Kallisto - begegnet werden, um dort Doppel- und Mehrfachbenennungen ein- und desselben Schreibers durch Querverweise deutlich zu machen und durch Bildnachweise zu belegen. Laut den im Projektantrag formulierten Zielen des Arbeitspaketes 4 sollen auf diese Weise rund 600 Kopisten aus folgenden Bestandsgruppen von Musikhandschriften der Staatsbibliothek bearbeitet werden: Bibliothek der Prinzessin Anna Amalia (D-B Am.B - ca. 160), Berliner Kopisten aus dem Umfeld von J. J. Quantz (D-B KH - ca. 20), Berliner Kopisten C. H. und J. G. Grauns (D-B Mus.ms. - ca. 80), Sammlung Thulemeier (D-B Sammlung Thulemeier - ca. 80) und Depositum Sing-Akademie zu Berlin (D-BSa SA - ca. 220).