Musik

Der Nachlass von Dietrich Fischer-Dieskau

Es gibt Künstler, für die ist ein Menschenleben viel zu kurz, um in ihrer Kunst und ihrem Wirken all das auszudrücken, was sie in ihrem Herzen bewegen. Zu diesen einzigartigen und außergewöhnlich reichen Menschen und Künstlern zählte auch Dietrich Fischer-Dieskau (1925-2012). Er gehörte zu jenen seltenen Ausnahmeerscheinungen mit ganz unterschiedlichen, sich aber ergänzenden Begabungen: Dietrich Fischer-Dieskau war nicht nur ein weltberühmter Sänger, sondern auch ein begabter Musikschriftsteller, Notenherausgeber, Maler, Dirigent und Lehrer. Im Jahr 2015 wurde von der Witwe Fischer-Dieskaus, der Opern- und Konzertsängerin Júlia Várady, der bereits zu dessen Lebzeiten an die Staatsbibliothek verfügte Nachlass übernommen. Der Inhalt von über 100 Kisten - vergleichbar etwa 20 Umzugskartons - steht somit der Forschung und interessierten Nachwelt zur Verfügung.

Durch Julia Várady erfährt der Bestand immer wieder Bereicherungen in der Form von größeren Supplementen, wie etwa zuletzt eine Lieferung von Fischer-Dieskaus zahlreichen Auszeichnungen, Preisen und Ehrungen.

So bunt und vielschichtig wie die Persönlichkeit und das Wirken des Sängers waren, sind auch die sich im Nachlass befindenden Dokumente des Künstlers. Die erhaltene Geschäftskorrespondenz mit bekannten Kulturschaffenden, neben einer Flut von Fanpost, führt uns heute vor Augen, wie sehr sich Dietrich Fischer-Dieskau als tonangebender, stets auf Textverständlichkeit und Textdeutung bedachter Interpret mit dem musikalischen Werk auskannte, ohne sich darüber zu erheben. Übernommen wurde auch Fischer-Dieskaus Notenbibliothek, deren Bände mit zahlreichen handschriftlichen Eintragungen und agogischen Anweisungen einen besonderen Wert besitzen.

Dietrich Fischer-Dieskau prägte bis in die 1960er-Jahre und darüber hinaus den Wiederaufbau der bürgerlichen Musikkultur Westberlins und der Bundesrepublik Deutschland ganz entscheidend. In seinem Nachlass hat sich ein ganzes Archiv an Rezensionen, Konzertkritiken und Zeitungsartikeln erhalten, die er selber fleißig gesammelt hatte. Mit reinen Liederkonzerten gelang es dem Sänger, mehr Aufmerksamkeit für das deutsch-romantische Kunstlied innerhalb des bürgerlichen Musiklebens zu wecken und besonders jüngere Künstler und Zuhörer für den Konzertsaal und die Oper zu gewinnen.

Zugleich war Fischer-Dieskau stets ein Förderer zeitgenössischer Musik, davon zeugen seine Uraufführungen u. a. von Werken Aribert Reimanns, Hans Werner Henzes oder Benjamin Brittens. Zahlreich sind deshalb im Nachlass handschriftliche oder gedruckte Widmungsexemplare.
Die fast vollständig erhaltenen Programmzettel belegen anschaulich, wie oft der Künstler ganze Liederabende oder Zyklen mit ein und demselben Komponisten gestaltete.

 

Daneben fand Dietrich Fischer-Dieskau noch Zeit und Muße, sich der Malerei hinzugeben. Malen war für ihn eine Suche nach dem Selbst und die Voraussetzung, um "sehen zu lernen". Er male am liebsten Porträts, weil seine Art, Lieder zu singen, in der Kunst des Porträtierens sich konzentriere, schrieb er einmal.

Es drängte ihn dazu, sich in verschiedenen Medien, aber immer im gleichen Sinne auszudrücken. Mehr als 16 Mal war Fischer-Dieskau als Buchautor tätig. Seine Publikationen waren dabei oft das Resultat musikeditorischer Nebenarbeit, Erträge seiner Arbeit als Sänger oder einfach der "Lust an der Sprache" entsprungen. Manuskripte zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit sind in seinen Unterlagen ebenso enthalten wie ein umfangreiches, von Fischer-Dieskau selbst gesammeltes Bildarchiv.

Eine Besonderheit innerhalb des Nachlasses ist der Konzertflügel, den der Künstler in den 1950er-Jahren kaufte. Auf dem innen liegenden goldfarbenen Metallrahmen des Instruments finden sich eine ganze Reihe von Unterschriften von Künstlerkollegen, darunter Jörg Demus, Leonard Bernstein, Daniel Barenboim oder Aribert Reimann.