Orient
Äthiopisches Handschriften
Die ersten äthiopischen Handschriften kamen bereits früh in den Bestand der 1661 gegründeten „Churfürstlichen Bibliothek zu Cölln an der Spree“. Unter den 1682 angekauften orientalischen Manuskripten des Gelehrten Theodor Petraeus befanden sich auch drei Geʿez-Handschriften – beschrieben und katalogisiert vom Begründer der Äthiopistik, Hiob Ludolf selbst (Dillmann 1878, S. i). Seine lateinischen Texte sind diesen ersten äthiopischen Berliner Handschriften jeweils vorgeheftet. Illustren Namen verdankt die äthiopische Sammlung auch ihre weitere Vergrößerung: Der Orientalist und Preußische Gesandte Heinrich Friedrich von Diez, der große Ägyptologe und Direktor der nunmehr Königlichen Bibliothek zu Berlin Karl Richard Lepsius oder der Orientalist Julius Heinrich Petermann brachten von ihren Reisen auch äthiopische Handschriften mit oder erwarben sie auf Auktionen. Schenkungen und weitere gezielte Ankäufe vor Ort ließen den Bestand schnell wachsen. August Dillmann, selbst eine Koryphäe der Äthiopistik, konnte in seinem Verzeichniss der abessinischen Handschriften, das 1878 als dritter Band der Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin erschien, bereits 87 auflisten und beschreiben. Heute befinden sich in den Sammlungen der Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin 335 äthiopische Handschriften. Die meisten sind undatiert und stammen wahrscheinlich aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Es befinden sich einige herausragende Exemplare darunter, wie eine hagiographische Sammlung (Legenden auf die Heiligen- und Festtage, Ms. or. fol. 117), das noch aus der Petraeus-Sammlung stammt und mit einer Datierung in das 15./16. Jahrhundert zu den ältesten Stücken gehört, ein großformatiges Prachthomiliar (Predigtsammlung) aus dem 17. Jahrhundert (Ms. or. fol. 394), das mit fünfzig farbigen und fein gearbeiteten Gemälden ausgestattet ist, oder das Psalter aus dem 15./16. Jahrhundert (Ms. or. quart. 172), das August Dillmann als „die wertvollste der vielen Psalmenhandschriften unserer Sammlung“ bezeichnete.
Bemerkenswert ist auch der Bestand an volkstümlich illustrierten äthiopischen Zauberrollen (v. a. unter Ms. or. oct. 4054 bis Ms. or. oct. 4072). Einen besonderen Bestand stellen Mikrofilme von Handschriften aus der Tanasee-Region dar, die von Ernst Hammerschmitt 1968 im Rahmen eines DFG-Projektes in Äthiopien fotografiert worden waren. Unter der Signatur „Tanasee 1-182“ wurden sie geordnet, in drei Katalogbänden beschrieben und der Forschung zugänglich gemacht.
Herausragende Objekte
Ms. or. fol. 394 - Äthiopisches Prachthomiliar, 17. Jahrhundert
Dieser großformatige Prachtkodex gehört zu den wertvollsten Stücken der Sammlung äthiopischer Handschriften. Er ist in braunes mit Blindprägung verziertes Leder gebunden und enthält 50 sorgfältig gearbeitete Gemälde. Der Name des Auftraggebers der Handschrift ist nicht mehr vollständig leserlich, es war aber mit Sicherheit ein Angehöriger des Herrscherhauses.
Ms. or. oct. 555 - Äthiopische Heiligenviten, ca. 1530, Miniaturen aus dem 15. Jahrhundert
Diese Handschrift mit Lebensbeschreibungen von Heiligen enthält 18 ältere, zusätzlich eingebundene Illustrationen. Es handelt sich um seltene Beispiele früher äthiopischer Miniaturkunst von großer Expressivität.
Petermann II Nachtr. 29 - Äthiopisches Henochbuch. ca. 16. Jahrhundert
Das Buch Henoch gehört zu den apokryphen Bibeltexten und ist nur in der äthiopischen Kirche Teil des alttestamentlichen Kanon. Dadurch wurde es zuverlässig tradiert und vollständig überliefert. Das äthiopische Henochbuch ist somit eine unschätzbare Quelle für die Kirchen- und Dogmengeschichte..