Von Sansibar nach Berlin und weiter

Vorerzählungen

Otto Kersten

Baron Carl Claus von der Deckens Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1865: Die Insel Sansibar. Reisen nach dem Niassasee und dem Schneeberge Kilimandscharo (Leipzig/Heidelberg: Winter), 1869

„Bibi Holli hörte auf, Löwin des Tags zu sein, und kam um so schneller aus der Mode, als ein neuer Stern am Himmel Sansibars aufgegangen war. Ihre Stiefschwester, die jüngere Bibi Salima, war inzwischen erblüht und hatte der stiefschwesterlich gehaßten Nebenbuhlerin den Rang abgelaufen. […] An mondhellen Abenden saß des Sultahns Schwesterlein hinter dem eisernen Gitter ihres Fensters und hörte mit Theilnahme den Wasungu [Europäern] auf dem Nachbardache zu […].“ (Baron Carl Claus von der Deckens Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1865, Bd. 1, S. 113)

Der Afrikareisende Otto Kersten (1839-1900) hatte lange Zeit auf Sansibar gelebt und war als Mitglied der Decken’schen Expedition im Nachhinein beauftragt, eine Reisebeschreibung zu veröffentlichen. Er fügte die „Liebesgeschichte“ Heinrich und Emily Ruetes in seine Besprechung von Sansibar ein. Mit dem Titel „Ein verwirklichtes Märchen aus ‚Tausend und eine Nacht‘“ sowie seinem Erzählstil gibt er den Grundton für die späteren märchenhaften, orientalisierenden Erzählungen dieser Episode an. Er schuf viele Motive, die von späteren Erzählern kopiert wurden, z.B. die Einkerkerung der Prinzessin durch Madjid und die Darstellung der Schwester „Holli“ als gehasste Nebenbuhlerin, die der Handlung typischer Märchenfiguren entsprachen – laut den Memoiren waren die beiden Emily Ruetes Lieblingsgeschwister.


Signatur: Staatsbibliothek zu Berlin, 4° Us 935-1


„Eine afrikanisch-europäische Liebesgeschichte“

Daheim (Nr. 47), 1871 (19. August)

„Jetzt kam uns ein elegant gekleidetes Ehepaar entgegen. ‚Sehen Sie die Dame sich genau an‘, raunte mir mein Freund zu. ,Nun‘, fragte ich, als das Paar vorüber war, ‚was ist an der besonderes; sie zeigt etwas südlichen Teint, wohl eine Italienerin oder Griechin? –‘
,Fehlgeschossen, rathen Sie südlicher.‘
‚Vielleicht gar aus Indien?‘
‚Noch weiter her – es ist eine arabische Prinzessin! Hören Sie die Geschichte, wie diese Dame aus altarabischem, fürstlichem Blute die glückliche Gattin unseres Mitbürgers wurde, sie ist es werth, erzählt zu werden, klingt wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht, zeigt, wie die Liebe über alle Schranken der Nationalität hinwegklettert und ist, was das beste daran, vollkommen wahr bis auf das Tüpfelchen über dem i.‘“ (Eine afrikanisch-europäische Liebesgeschichte, S. 751)

Hier handelt es sich um eine vor den Memoiren veröffentlichte Erzählung von Emily Ruetes Liebesgeschichte: Der Erzählstil veranschaulicht den typischen Umgang mit dieser Geschichte in einer Mischung aus einer orientalisierenden Märchenwelt, von der man offensichtlich „Am Familientische“ erzählen konnte, und ihren Ansprüchen an die Wahrheit. Diese Version erschien bereits ein Jahr nach dem Tod Heinrich Ruetes. Ein späterer Brief an die Zeitschrift „Daheim“ teilt den Lesern das tragische Ende der eigentlichen „Liebesgeschichte“ mit.

Signatur: Staatsbibliothek zu Berlin, 4° Ac 7250


G. O. Hilder

„Die Schwester des Sultans von Zanzibar“ Illustrirte Zeitung (Nr. 2183), 1885 (2. Mai)

„Die Schwester des jetzt regierenden Sultans ist es, mit welcher uns das vorstehende Bild bekannt macht, ein Bild, welches zugleich Zeugniß ablegt von der wunderbaren Umwandlung einer arabischen Prinzessin in eine ehrsame deutsche Dame. Die Geschichte, wie diese Umwandlung sich vollzogen hat, ist vielfach zum Gegenstand romantischer Erzählungen gemacht worden, aber leider ließen deren nicht immer wahrheitsgetreue Ausschmückungen nur allzuoft den feinen Takt vermissen, […] und somit betrachten wir es als unsere Pflicht, hier einmal, wenn auch nur in aller Kürze, über die Thatsachen streng wahrheitsgetreu zu berichten.“ („Die Schwester des Sultans von Zanzibar“, S. 444)

Dieser Artikel mit seinem stilisierten Bild, auf dem Emily Ruete fast unkenntlich gemacht ist, wirkt wie eine Beschreibung im Stil einer christlichen Fabel und zeigt, wie sehr sich die Zeitschrift bemühte, nicht nur sie als Person, sondern auch ihre Geschichte an die damaligen gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Auch wenn einige Äußerungen in den Memoiren zumindest an diese Idee eines problemlosen „Ankommens“ in der deutschen Gesellschaft anknüpfen – in den später geschriebenen „Briefe nach der Heimat“ relativiert Emily Ruete dies –, widersprechen die Memoiren insgesamt der hier implizierten Vorstellung, dass eine arabische Prinzessin an sich schon nicht „ehrsam“ sein könne sowie der Deutung, dass der Islam „ein Hemmniß für die geistige Entwicklung“ sei  („Die Schwester des Sultans von Zanzibar“, S. 444).

Signatur: Staatsbibliothek zu Berlin, 38 PC 225