Von Sansibar nach Berlin und weiter
Emily Ruetes „Memoiren einer arabischen Prinzessin“
„Neun Jahre ist es her, daß ich den Gedanken faßte, aus meinem Leben Einiges für meine Kinder niederzuschreiben, welche bis dahin von meiner Herkunft weiter nichts wußten, als daß ich eine Araberin sei und aus Zanzibar stamme“ – mit diesen Worten beginnt Emily Ruete ihre „Memoiren einer arabischen Prinzessin“, die früheste veröffentlichte Autobiografie einer arabischen Frau. Erstmals im Jahre 1886 im Berliner Verlag H. Rosenberg erschienen (später bei Friedrich Luckhardt), wurden die Memoiren innerhalb eines Jahres viermal nachgedruckt. 2011 war das 125. Erscheinungsjubiläum des Buchs, das in den letzten Jahren in zunehmendem Maße wieder erwähnt, nachgedruckt und „weitererzählt“ wurde und dem ein langes und vielschichtiges Nachleben beschert zu sein scheint.
Emily Ruete wurde in Sansibar im Jahre 1844 als Sayyida (ein Titel, den sie mit „Prinzessin“ übersetzte) Salme bint Said bin Sultan, Tochter des Sultans von Oman und Sansibar, geboren. Nach einer ereignisreichen Kindheit und Jugend in verschiedenen Residenzen auf der Insel, die sie in ihren Memoiren ausführlich schildert, zog sie mit Anfang Zwanzig in ein Haus in der Stadt um. Nebenan wohnte der deutsche Kaufmann Heinrich Ruete. Das Paar verliebte sich; die Prinzessin wurde schwanger und verließ die Insel heimlich in Richtung Aden; Heinrich, der auf Sansibar geblieben war, um – unbehelligt – seine Geschäfte abzuwickeln, traf einige Monate später dort ein. Salme wurde als Emily getauft und heiratete Heinrich Ruete am selben Tag, woraufhin die beiden dann sofort nach Europa aufbrachen, um in Hamburg, Heinrichs Heimatstadt, zu leben. Nach Heinrichs Tod bei einem Unfall im Jahre 1870 traf Emily Ruete, inzwischen Mutter von drei kleinen Kindern, die schwierige Entscheidung, in Deutschland zu bleiben. In finanzielle Schwierigkeiten geraten und verzweifelt bemüht, ihr Erbe anzutreten, wurde sie in den kommenden Jahren in Bismarcks Kolonialpolitik verwickelt. Ihre die Memoiren ergänzenden „Briefe nach der Heimat“ erzählen von ihren wenig positiven Erlebnissen in einer oft voreingenommenen deutschen Gesellschaft.
„Ihre Lebensgeschichte ist ebenso lehrreich wie die Historie und ebenso faszinierend wie Fiktion“, schrieb Oscar Wilde auf blumige Art und Weise in seiner Rezension der Memoiren in „The Woman’s World“ (1888). Wildes Worte waren dennoch prophetisch – Emily Ruetes Lebensgeschichte hat in den vergangenen Jahren beide Deutungen inspiriert. Für einige Autoren war die so genannte „Entführung“ der Stoff von Märchen (siehe die unzähligen, orientalisierenden Versionen in den illustrierten Zeitschriften des späten neunzehnten Jahrhunderts) und Liebesromanen. Sie alle beeilten sich, die „Entführung aus dem Serail“ und die Tausend und eine Nacht auf stereotypische und vorhersehbare Weise zu evozieren. Einige frühe Rezensenten betonten eher den praktischen, sozialen und historischen Wert der Erzählung, auch wenn dies hauptsächlich den deutschen Interessen in Afrika dienen sollte. Dieser sozial-historische Wert ist aus heutiger Sicht wahrscheinlich zur prominentesten Deutung geworden, wobei die Nützlichkeit der Memoiren weniger in der Erhellung dessen gesehen wird, „was in Afrika passiert/e“, als vielmehr in ihrer vermeintlichen Beleuchtung eines „Modethemas“ unserer Zeit, nämlich des „inneren Lebens“ der muslimischen Frau.
Ruetes Erzählung enthält viel mehr, als der Titel der neuen deutschen Fassung „Leben im Sultanspalast“ vermuten lässt: eine leidenschaftliche Anklage gegen die Machenschaften der englischen Regierung; ein Gefühl der Verwirrung, von den Großmächten bei ihrem Kampf um Afrika instrumentalisiert zu werden; sowie auch Einiges, was dem heutigen Leser unangenehm aufstößt: gute Ratschläge für deutsche Kolonisten, vor allem aber eine Verteidigung der Sklaverei. Dieser Punkt ist in den postkolonialen und anderen neueren Auseinandersetzungen mit Ruetes Werken zu Recht in den Blick gerückt worden – auf direkte Art und Weise in einer „Intervention“ der Künstlerin HMJokinen (2009), die eine ehemalige Versklavte als Gegenfigur gegen eine Ausstellung über Ruetes Leben einsetzt. Auch in der Gegenüberstellung und Verflechtung mit der Lebensgeschichte des Sklavenhändlers Tippu Tip in Hans Christoph Buchs Roman „Sansibar Blues“ (Die Andere Bibliothek/Eichborn, 2008) sowie in Christiane Birds populärhistorischer Untersuchung „The Sultan‘s Shadow“ (Random House, 2010) werden diese Aspekte aufgegriffen.
Am Ende ihres Vorworts schickt Ruete ihr Buch „hinaus[…] in die Ferne.“ Unterwegs hat ihr Buch viele Wandlungen durchgemacht und sich in zahlreiche Diskussionen eingemischt.
In dieser Online-Präsentation wird eine Auswahl von Objekten aus der Ausstellung „Von Sansibar nach Berlin und weiter – 125 Jahre Emily Ruetes Memoiren einer arabischen Prinzessin“ aus dem Jahre 2011 gezeigt – konzipiert von Dr. Kate Roy (Stipendiatin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahre 2010 und derzeitige Leverhulme Gastforschungsstipendiatin an der Universität Liverpool) in Zusammenarbeit mit Ursula Jäcker, Fachreferentin für Germanistik. Dr. Roys Teilnahme an der 2011er Ausstellung wurde mit Unterstützung der Women in German Studies ermöglicht.