Von Sansibar nach Berlin und weiter
Die Sultan-Familie
„Portrait of Said bin Sultan“
In: Rudolph Said-Ruete, Said bin Sultan (1791–1856), ruler of Oman and Zanzibar: his place in the history of Arabia and East Africa (London: Alexander Ouseley), 1929
Das vorliegende Buch ist dem Vater Emily Ruetes, Sayyid Said bin Sultan und dessen Leben und Leistungen gewidmet, geschrieben wurde es von seinem Enkel. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er Sultan von Muskat und Oman – ab 1845 wurde noch der Titel „Sultan von Sansibar“ hinzugefügt. Während seiner etwa fünfzigjährigen Herrschaft verstärkte er die omanische Kontrolle über die Handelshäfen entlang der ostafrikanischen Küste, verlegte die Hauptstadt seines Reichs nach Sansibar und begann politische Interaktionen mit Europa und den USA. Außerdem baute er Sansibar sowohl zum Weltzentrum für die Produktion von Gewürznelken als auch zum Zentrum des Sklavenhandels im Indischen Ozean aus.
Von seiner Tochter sehr geliebt, nimmt Said bin Sultan einen wichtigen Platz in ihren Memoiren ein:
„Da ich zu den jüngeren Kindern meines Vaters gehörte, so habe ich ihn nie anders, als in seinem ehrwürdigen, schneeweißen Vollbarte gesehen. Ueber mittelgroß an Gestalt, besaß derselbe in seinem Antlitz etwas außerordentlich Gewinnendes und Wohlwollendes, dabei war er eine in jeder Hinsicht Respekt gebietende Erscheinung. […] Er kannte nichts Höheres als die Gerechtigkeit, und bei einer etwaigen Uebertretung gab es für ihn keinen Unterschied zwischen seinem eigenen Sohn oder einem einfachen Sklaven. […].“ (Memoiren einer arabischen Prinzessin, 4. Aufl., Bd. 1, S. 6)
Signatur: Staatsbibliothek zu Berlin, Um 2544/10
„Seid Madjid, Sultahn von Sansibar. Nach einer Photographie im Besitze von A. O’Swald.“
In: Otto Kersten: Baron Carl Claus von der Deckens Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1865: Die Insel Sansibar. Reisen nach dem Niassasee und dem Schneeberge Kilimandscharo (Leipzig/Heidelberg: Winter), 1869
„Und doch mußte Seid Madjid von der Schuld seiner Schwester sich überzeugt haben; denn urplötzlich wurde die Prinzessin in ihrem Hause verhaftet und eingekerkert. Hier saß die Arme einsam und verlassen, den Richterspruch des von der unbeugsamen Sitte beeinflußten Bruders erwartend, ohne an die Möglichkeit einer Hilfe zu denken […].“ (Baron Carl Claus von der Deckens Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1865, Bd. 1, S. 114)
Madjid bin Said war der Lieblingsbruder Emily Ruetes. Da er zur Zeit der Flucht seiner Schwester Sultan war, spielte er eine wichtige und oft einseitig dargestellte, einem Märchen entsprechende, Rolle in den verschiedenen Erzählungen, die vor Emily Ruetes Memoiren veröffentlicht wurden. Als Figur der neueren Nacherzählungen wurde er unterschiedlich charakterisiert: als Schwächling, als großzügiger Vergeber bis zum Stereotypen des älteren Bruders, der einen Ehrenmord begehen würde.
Emily Ruete stand ihrem Bruder sehr nah – in ihren Kindheitserinnerungen ist er überaus präsent. Später beschreibt sie ihre Schuldgefühle, weil er sie nicht dafür bestrafte, dass sie an der von Bargasch geleiteten Palastrevolution gegen seine Herrschaft teilgenommen hatte.
Sie verwendet in der Auseinandersetzung mit den früheren Erzählungen auch das Beispiel ihres Bruders: „Eine Feindseligkeit seinerseits, oder gar eine Einkerkerung, von welcher man gefabelt hat, habe ich dieserhalb nicht zu erfahren gehabt […] als frommer Muslim glaubte er an göttliche Vorausbestimmung und war überzeugt, daß nur eine solche mich nach Deutschland geführt habe […].“ (Memoiren einer arabischen Prinzessin, 4. Aufl., Bd. 2, S. 142 ff.)
Signatur: Staatsbibliothek zu Berlin, 4° Us 935-1
„Saïd Bargash, Sultan de Zanzibar“
In: Adolphe Burdo, Les Belges dans l’Afrique centrale: De Zanzibar au lac Tanganika (Brüssel: Maes), 1886
Im Buch des belgischen Afrikareisenden Adolphe Burdo befindet sich diese Bildtafel von Bargasch bin Said (Nachfolger Madjids als Sultan von Sansibar) genau in der Mitte seiner kurzen dramatischen Erzählung der „Liebesgeschichte“ von Sayyida Salme und Heinrich Ruete: die überladene Beschreibung Bargaschs Serails verwendet Burdo als Einstieg. Bargasch, der laut seiner Schwester „außerordentlich begabt [,...s]tolz und herrisch in seinem Wesen“ (Memoiren einer arabischen Prinzessin, 4. Aufl., Bd. 2, S. 100) war, nimmt als eine Hauptfigur in drei Kapiteln eine oft umstrittene Rolle in ihren Memoiren ein: als Initiator der Palastrevolution gegen Madjid, die Emily Ruete (als daran Beteiligte) später gesellschaftliche Schwierigkeiten brachte; als 1875 nach London gereister Sultan, dessen Schwester ihn dort hilfesuchend aufzusuchen versucht, den Weg zu ihm aber von der britischen Regierung versperrt findet; und letztendlich 1885 als unerbittlicher Sultan, dessen Schwester er eine Audienz verweigert.
Im nach seinem Tod verfassten „Nachtrag zu meinen Memoiren“ schildert Emily Ruete auch kurz schönere Erinnerungen – und offenbart, dass Bargasch der erste Leser der Memoiren in arabischer Übersetzung gewesen sei:
„[Der frühere Leibarzt meines Bruders Bargasch] erzählte mir, dass als meine Memoiren im Jahre 1886 erschienen waren und mein Bruder Bargasch hiervon Kenntnis erhielt, er ihm den Befehl erteilte, dieselben Wort für Wort zu übersetzen. Auf meine Frage, ob er auch gewagt habe, das Kapitel „Said Bargasch in London“ [...] zu übersetzen, erwiderte er mir, auch das habe er tun müssen und habe gerade dieses Kapitel Said Bargasch am meisten interessiert. Auch versicherte mir der Herr, dass sogar manches Lob über die Memoiren seitens meines Bruders gefällt wurde. Dies hat mich sehr überrascht“ [...] („Nachtrag zu meinen Memoiren“, S. 17).
Signatur: Staatsbibliothek zu Berlin, 4° Us 3938